Susan George ist keine Wirtschaftswissenschaftlerin, doch hat sich die vor 66 Jahren in Ohio geborene französische Staatsbürgerin durch ihr Engagement für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung einen Namen gemacht. Sie ist Vorsitzende des Observatoire de la Mondialisation mit Sitz in Paris und der ebenfalls in Paris entstandenen Internationalen Initiative für die Einführung der Tobin-Steuer (ATTAC). Zur Gründung einer österreichischen Sektion von ATTAC am 6. November war sie einige Stunden in Wien. Für das SÜDWIND-Magazin sprach Ralf Leonhard mit ihr.
Frage: ATTAC setzt sich unter anderem für die Tobin Tax, also die Besteuerung von internationalen Devisentransaktionen, ein. Warum ist das so schwierig
durchzusetzen? Die Weltwirtschaft wird doch durch die Währungsspekulation
alles andere als stabilisiert. Die Staaten müssten also ein Interesse an
einer solchen Steuer haben.
George: Daraus ergibt sich die Frage, für wen regiert wird. Die Regierungen sagen
nicht mehr, dass sie dagegen sind, sondern es sei nicht machbar. Offen gegen die Tobin Steuer aufzutreten wäre wie gegen Mutterschaft oder Apfelstrudel sein. Das will keiner. Es heißt: nette Idee aber leider undurchführbar. Was will ATTAC besteuern? Täglich werden an den internationalen Finanzmärkten 1500 Milliarden US-Dollar hin- und hergeschoben. Nur zwei Prozent davon finanzieren die wirkliche Wirtschaft. Wenn also ein österreichischer Unternehmer in den USA etwas kauft und wissen will, wie viel er in sechs Monaten dadür zahlen muss, kann er den Preis in Euro auf ein halbes Jahr fixieren. Das ist legitim und hält die Wirtschaft am Laufen. Aber 98 Prozent der Transaktionen haben rein spekulativen Charakter. Es kann jemand Geld aus Geld aus Geld machen, ohne mit der wirklichen Wirtschaft in
Berührung zu kommen. Außer dass die Arbeitsplätze von ein paar hundert
Börsenmaklern erhalten werden, leistet dieses Spekulationsgeschäft keinen
Beitrag zur allgemeinen Wohlfahrt. Die meisten Geschäfte werden innerhalb
einer Woche oder gar eines Tages abgewickelt. Ein Spekulant hat einmal
etwas überzeichnet gesagt: langfristig heißt für mich mehr als zehn
Minuten.
Frage: So eine Steuer müsste wohl auf internationaler Ebene eingeführt werden,
damit sie funktioniert?
George: Ich wünsche mir, dass Europa damit beginnt. Es gibt Leute, die meinen,
Frankreich allein könnte den Anfang machen. Ich glaube, wenn die EU vorprescht, dann müssen die USA und Japan bald mitziehen. Damit hätten wir 85% aller Transaktionen unter Kontrolle. Der Euro ist heute schon bei jeder zweiten Transaktion involviert.
Frage: Gibt es europäische Regierungen, die sich für die Tobin Tax stark machen?
George: Die Finnen haben im Parlament eine Resolution für die Tobin Tax verabschiedet. Im Europaparlament fehlten nicht mehr als vier Stimmen. Das waren die französischen Linken. Ein schwerer politischer und strategischer Fehler, wenn Sie mich fragen. Ich glaube, was wir verlangen ist etwa so wie die Forderung nach einer Einkommensteuer vor 100 Jahren. Wir wollen nicht mehr als ein Promille Steuer auf die Spekulationsgelder zur Umverteilung auf internationaler Ebene.
Frage: Manche Ökonomen glauben, dass sich der Neoliberalismus als beherrschende Wirtschaftsideologie bereits im Niedergang befindet.
George: Ich wollte, es wäre so. Die fortschrittlichen Bewegungen haben ein paar kleinere Gefechte gewonnen: Wir haben das MAI (Multilaterale Investitionsschutzabkommen) gestoppt, wir haben die WTO-Tagung in Seattle zum Scheitern gebracht und das Weltbank- und IWF-Treffen in Prag um einen Tag verkürzt. Aber Weltbank und IWF haben sich nicht verändert. Der Washington Konsens (die neoliberale Rezeptur von Liberalisierung und Deregulierung) ist weiterhin aufrecht, vor allem, wenn es um die Länder des Südens geht. Die Schuldenlast der armen Länder wurde nicht reduziert, die internationalen Finanzmärkte funktionieren genauso wie vorher. Das einzige, was wirklich etwas verändern würde, wäre wohl ein größerer Crash an der Wertpapierbörse.
Frage: Dennoch reden sie heute anders.
George: Die Rhetorik hat sich tatsächlich verändert. Keiner sorgt sich mehr um die
Armen als (Weltbankpräsident) James Wolfensohn. Aber er hat sich der beiden Ökonomen entledigt, die die Armutspolitik der Weltbank verändern wollten: Chefökonom Joseph Stiglitz wurde gefeuert und Ravi Kanbur trat zurück, als man von ihm verlangte, den Entwicklungsbericht der Weltbank zu verändern.
Stiglitz wandte sich gegen die harten Anpassungsprogramme, die den Ländern des Südens verordnet werden. Er meinte, Inflationsbekämpfung sei nicht vorrangig.
Frage: Und doch wachsen in vielen Ländern die Bewegungen gegen die Weltbankpolitik.
George: Das ist sehr wichtig. Aber der Gegner ist nicht einen Millimeter zurückgewichen.
Frage: Man hat den Eindruck, das tote MAI taucht als Wiedergänger in immer
neuen Verkleidungen wieder auf. Auch in der EU.
George: Das stimmt. Derzeit versucht die EU-Kommission den Artikel 133 der
Amsterdamer Veträge zu reformieren. Sie will das Einstimmigkeitsprinzip für alle Handelsabkommen über Dienstleistungen, geistiges Eigentum und Investitionen abschaffen und durch Zweidrittelmehrheit ersetzen. Die nationalen Parlamente könnten damit umgangen werden. Nach der heutigen Rechtslage kann jedes Land eine Veränderung des Investitionsregimes durch sein Veto verhindern. Davon machte zum Beispiel Frankreich im Fall des MAI Gebrauch.
Grundlage für die angestrebte Reform ist das Allgemeine Abkommen für den
Dienstleistungshandel (GATS). Das gewährt den Mitgliedsstaaten das Recht
auf Handelspräsenz in allen Staaten. Wer im Dienstleistungsektor investiert, könnte dann auch das erforderliche Personal importieren.
Frage: Wie muss man sich das vorstellen?
George: Das Sekretariat der WTO hat in einem Papier über Gesundheitsdienst geschrieben, Gewinne ließen sich weniger beim Bau von Gesundheitseinrichtungen erzielen als durch die Beschäftigung qualifizierteren, effizienteren und oder billigeren Personals. Das würde bedeuten, dass ein Spitalsbetreiber Krankenschwestern aus Jamaica oder von den Philippinen importieren und ihnen einen beliebeigen Lohn zahlen könnte. Ihr Arbeitsvertrag wäre gleichzeitig die Aufenthaltsgenehmigung.
Frage: So leicht kann doch die nationale Arbeitsgesetzgebung nicht unterlaufen
werden?
George: Der Mann, der diese Idee verfolgt, heißt Michel Servoz und arbeitet für EU-Kommissar Pascal Lamy. Er hat in einer schriftlichen Stellungnahme darauf hingewiesen, dass Länder wie Indien und Pakistan an Bauaufträgen in Europa interessiert wären. Sie könnten ihr Personal billiger entlohnen, da der Vertrag nicht unter europäischen Arbeitsgesetzen abgeschlossen würde sondern unter dem GATS-Regime über den freien Personenverkehr. Ich habe vergeblich einen Hinweis gesucht, dass diese Leute von den europäischen Gesetzen geschützt würden.
Frage: In Österreich könnten dann also Bauarbeiter nach den Regeln pakistanischer Arbeitsgesetze angestellt werden?
George: Und zu pakistanischen Löhnen. Noch ist es nicht so weit und wir versuchen,
diese Entwicklung aufzuhalten. Die Transantionalen Unternehmen versuchen uns ins 19. Jahrhundert zurück zu befördern. Nach dem Motto: Weg mit öffentlichen Dienstleistungen! Diese Bereiche können Gewinne bringen: Erziehung wäre ein Markt von jährlich tausend Milliarden US-Dollar, Gesundheitsversorgung von zweitausend Milliarden. Privatisieren wir! Das sind keine Spinnereien. Michel Servoz hat auf einer Konferenz in Kanada wörtlich gesagt, Erziehung und Gesundheit seien „reif für die Liberalisierung“.
Pascal Lamy ist vor dem US-Wirtschaftsrat am 8. Juni noch deutlicher geworden: „Wenn wir Europäer unseren Zugang zu fremden Märkten verbessern wollen, können wir unsere geschützten Sektoren nicht heraushalten. Wir müssen bereit sein, über alles zu verhandeln, wenn wir ein großes Geschäft (orig.:“a big deal“) anstreben. Das heißt für die USA genauso wie für Europa, dass es für einige Sektoren schmerzhaft werden wird. Aber andere werden große Gewinne machen. Ich glaube, das ist uns allen bewusst. Aber wenn wir kriegen wollen, was wir anstreben, dann müssen wir in den sauren Apfel beißen.“ So weit Pascal Lamy wörtlich. Und er sagt nicht, was er im Namen der Europäer opfern will. Genauso wenig sagt er, wer die Gewinner und Verlierer sein werden. Das können wir uns allerdings denken.
Frage: Die neoliberale Weltwirtschaftsordnung wird viel kritisiert, aber die Vorschläge für machbare Alternativen sind doch recht mager.
George: Wieso? Es gibt Tausende, die nur nicht umgesetzt werden, weil es das internationationale Kräfteverhältnis nicht zulässt. Die Tobin-Steuer als Mittel der internationalen Umverteilung wäre ein Vorschlag. Dann könnte die WTO so verändert werden, dass sie Länder, die – entsprechend ihrem Entwicklungsniveau – das beste geben, belohnt. Derzeit ist es so, dass jene, die die Umweltkosten in den Produktpreis einbeziehen und den Arbeitern anständige Bedingungen bieten, bestraft werden weil ihre Waren zu teuer sind. Natürlich können jene, die die Kosten auf andere und die Umwelt abwälzen, billiger produzieren. Die WTO könnte also jenen Ländern, die nach dem Urteil der ILO anständige Arbeitsbedingungen garantieren, Zollvorteile gewähren.
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